Musik und Recht
Am 26.11.2025 fand die Tagung „Musik und Recht: Musikschulwesen und Musikunterricht in Österreich“, organisiert vom Zentrum für Kunst- und Kulturrecht sowie der ÖGSR – Österreichischen Gesellschaft für Schule und Recht, an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden interdisziplinär und praxisbezogen dringende Fragen des Musikschulrechts diskutiert.
Am 26. November 2025 fand im Festsaal des Grazer Meerscheinschlössls eine Fortbildungsveranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Schule und Recht (ÖGSR) in Kooperation mit dem Zentrum für Kunst- und Kulturrecht der Universität Graz statt. Unter dem Titel „Musik und Recht“ standen das österreichische Musikschulwesen, seine rechtlichen Rahmenbedingungen und aktuelle Herausforderungen im Mittelpunkt.
Nach einer musikalischen Eröffnung begrüßte Mag. Gerhild Hubmann, MAS, Präsidentin der ÖGSR, die Teilnehmer:innen und betonte die Bedeutung klarer rechtlicher Rahmenbedingungen für das österreichische Musikschulwesen. Univ.-Prof. Dr. Gabriele Schmölzer, Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, unterstrich in ihren Grußworten die Rolle der Universität Graz als Ort interdisziplinären Austauschs. Anschließend stellte Univ.-Prof. DDr. Dr. h.c. Bernd Wieser das Zentrum für Kunst- und Kulturrecht vor und erläuterte dessen Beiträge zu Forschung und Lehre an der Fakultät.
Das abwechslungsreiche Vortragsprogramm bot fundierte Einblicke in rechtliche, organisatorische und pädagogische Fragen der österreichischen Musikschullandschaft. Univ.-Ass. Dr. Antonia Bruneder eröffnete den fachlichen Teil mit einer Analyse der Rechtsnatur und Organisationsformen von Musikschulenund zeigte die Vielfalt der bestehenden Modelle in Österreich auf.
Darauf aufbauend präsentierte Mag. Eduard Lanner, Direktor des Konservatoriums Steiermark, unterschiedliche Konzepte der Nachwuchsförderung im steirischen Musikschulwesen. Danach gab Mag. Dr. Michaela Hahn von der Koordinationsstelle KOMU – Konferenz der österreichischen Musikschulwerke wertvolle Einblicke in die österreichweite Musikschullandschaft und stellte zentrale Strukturen, Systeme und Entwicklungen vor. Die anschließende Diskussion zeigte, wie groß der Bedarf an Austausch zwischen Verwaltung, Recht und pädagogischer Praxis ist.
Am Nachmittag präsentierte Mag. Gernot Ogris die Entsehung gesetzlicher Grundlagen am Beispiel des Kärntner Musikschulgesetzes und bot damit einen wertvollen Blick hinter die Kulissen gesetzgeberischer Arbeit der letzten Jahrzehnte. Abschließend thematisierte Mag. Andreas Gruber die vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten zwischen Schulen und Musikschulen.
Die Veranstaltung bot einen umfassenden Überblick über rechtliche und organisatorische Entwicklungen im österreichischen Musikschulwesen und zeigte die Bedeutung eines interdisziplinären Dialogs deutlich auf. Beim abschließenden Vernetzungsteil nutzten zahlreiche Teilnehmer:innen die Gelegenheit zu intensiven Gesprächen und Austausch über zukünftige Herausforderungen.
Fürchtet euch nicht!
Beschlagnahmte Filme, enthauptete Skulpturen gebärender (Jung-)Frauen, das Bilderverbot und die Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der katholischen Kirche – das alles beschäftigte das interdisziplinär besetze Podium bei der Abendveranstaltung „Blasphemie oder Freiheit“ unseres Zentrums für Kunst- und Kulturrecht.
Was muss Gott aushalten, was die Gläubigen – und was darf die Kunst in diesem Zusammenhang, wo aber geht sie zu weit? Dekanin Gabriele Schmölzer eröffnete die an diesen Fragen orientierte Veranstaltung gleich thematisch und verwies auf Graz als Ort der Auseinandersetzung von Religions- und Kunstfreiheit. Ende 1983 nämlich, knapp eineinhalb Jahre nach dem einstimmigen Beschluss im Parlament, die Kunstfreiheit in einem neuen Art. 17a in das Staatsgrundgesetz (StGG) und damit in den Grundrechtekatalog Österreichs aufzunehmen, wurde Herbert Achternbuschs Film „Das Gespenst“ von der Staatsanwaltschaft Graz beschlagnahmt (Details zur Kontroverse um den Film hier). Umso örtlich wie thematisch passender waren somit die Einlassungen, die in den folgenden eineinhalb Stunden unter Moderation von Antonia Bruneder von Künstlerin Ingrid Bartel, dem katholischen Priester und Kunsthistoriker Alois Kölbl, der islamischen Religionspädagogin Amira Sharawi und Wolfgang Wieshaider (Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien, u. a. wissenschaftliche Leitung des LL.M. Religionsrecht) kamen.
Ingrid Bartel unterstrich, dass ihr in ihrer durchaus kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der katholischen Kirche der Respekt vor den fotografierten Frauen und ihren Körpern – sie stellt etwa auch Frauen, die wegen Brustkrebs operiert wurden, dar, um auf das Thema aufmerksam zu machen – ebenso wichtig sei wie der Respekt vor dem Gegenüber, also den Gläubigen. Deshalb sei Provokation nicht Teil ihres künstlerischen Schaffens, wobei die österreichische Justiz aus ihrer Sicht auch mit provokanter Kunst recht gut umgehe. Prozesse gegen die Karikaturisten Haderer und Deix im Zusammenhang mit religiösen Themen hätten richtigerweise nicht in Verurteilungen geendet. Die Enthauptung einer Skulptur einer gebärenden Maria im Linzer Mariendom im Sommer 2024 (siehe hier) führte sie als Beispiel dafür an, dass die Wahrnehmung von Provokation bei Gläubigen auch sehr unterschiedlich ausfallen könne.
Wolfgang Wieshaider ging darauf ein, dass die Herabwürdigung religiöser Lehren gem. § 188 StGB nichts mit dem Schutz Gottes vor Schmähungen, sondern vielmehr damit zu tun habe, den religiösen Frieden zu wahren. Dies sei als immanente Schranke der Kunstfreiheit gem. Art. 17a StGG zu sehen. Fälle von Verurteilungen von Kunstschaffenden nach § 188 StGB lägen lange zurück, Kunstszene und Gerichte hätten sich somit wohl gut aufeinander eingespielt, wobei die Justiz richtigerweise sehr vorsichtig vorgehe. Rezente Fälle, in denen nach § 188 StGB angeklagt bzw. verurteilt wurde, beträfen eher „einfache“ Meinungsäußerungen, oftmals in der Nähe des § 283 StGB (Verhetzung).
Aus Sicht der islamischen Theologie bzw. Religionspädagogik legte Amira Sharawi dar, dass die vorherrschende Lehre des Koran von Gläubigen einerseits erwarte, andere Glaubensrichtungen zu respektieren und somit keine Blasphemie zu üben. Dies werde wechselseitig auch von anderen Glaubensrichtungen erwartet. Wo Muslime Blasphemie wahrnähmen, sollten sie sich nach dem Koran distanzieren und Nachsicht üben. Das Beschützen von Heiligtümern sei überdies nach der Sunna Aufgabe Gottes, nicht des Menschen. Der Terroranschlag auf Charlie Hebdo sei somit weder nach dem Koran, noch nach der Sunna zu rechtfertigen. Ein absolutes Bilderverbot, wie es in der Öffentlichkeit teils dargestellt werde, gebe es im Islam nicht, schon gar nicht im Koran – vielmehr seien in der seit dem 8. Jahrhundert andauernden Entwicklung der Lehre drei Richtungen zu unterscheiden: eine generell bilderfeindliche, die Bildnisse von Lebewesen generell verbiete, eine grundsätzlich bilderfreundliche, die nur Bildnisse des Propheten verbiete, und eine grundsätzlich liberale, sufistische Lehre.
Alois Kölbl merkte darauf rekurrierend an, dass der Bilderstreit des 8./9. Jahrhunderts in der katholischen Kirche nicht zufällig gleichzeitig mit jenem im Islam passiert sei. Man habe diese Frage und damit die „Urprovokation“ damals gelöst: Im katholischen Glauben darf Gott bildlich dargestellt werden. Die Worte „Beleidigung“ und „Gott“ sah Kölbl als grundsätzlich inkompatibel an, religiöse Beleidigung käme eher bei Menschen vor, die ein Problem mit ihrem Gottesbild haben. Esther Strauß‘ gebärende – und dann enthauptete – Maria habe in diesem Zusammenhang aus seiner Sicht keineswegs blasphemisch provozieren wollen, sei sie doch nicht im für die Liturgie vorgesehenen Raum ausgestellt worden. Es handle sich somit um eine respektvolle Auseinandersetzung mit einer religiös-sozialen Frage. Ingrid Bartels Werk „die Päpstin“ sei ebenso ein gelungener Hinweis auf eine zu führende Diskussion über die Rolle der Frau in der Kirche.
In der Schlussrunde ging man noch gemeinsam auf das Verhältnis zwischen religiösen Bauwerken als Kunstgüter, der Gesamtgesellschaft und dem Glauben an sich ein. In Reaktion auf Publikumsfragen war man sich einig, dass es eine gemeinsame Aufgabe von Bildungsarbeit, Religionsgemeinschaften und des Rechts sei, zwischen (scheinbar) widerstreitenden Positionen zu vermitteln und so auf ein gutes Zusammenleben hinzuwirken.
Auftaktveranstaltung des Zentrums für Kunst- und Kulturrecht
Am 27. Mai öffnete das Zentrum für Kunst- und Kulturrecht an unserer Fakultät feierlich seine Pforten, und zwar mit einer Diskussion unter dem Titel „Graffiti: Kunst oder Kriminal?“
Das Zentrum für Kunst- und Kulturrecht unter der Leitung von Bernd Wieser ist nun offiziell am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaften an der Universität Graz angesiedelt. Antonia Bruneder, Juristin und Mitinitiatorin des Zentrums, erklärt: „Durch meine berufliche Erfahrung beim größten Konzertveranstalter der Steiermark, dem Musikverein Graz, sowie meine Forschungstätigkeit im Bereich der Popularmusikforschung wird das Zentrum auch einen starken Fokus auf interdisziplinäre Fragestellungen im Musikrecht legen“. Das Zentrum wird mit seinem interdisziplinären Ansatz einen einzigartigen Schwerpunkt in Österreich setzen.
„Wir möchten mit diesem Zentrum nicht nur ein Forum für juristische und kulturelle Fragestellungen bieten, sondern auch eine Plattform für den Dialog zwischen Kunst, Recht und Gesellschaft schaffen“, so Bruneder weiter. Dieser interdisziplinäre Ansatz wurde bei der Podiumsdiskussion zum Thema Graffiti deutlich: Die Teilnehmer:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen brachten ihre Expertise ein, diskutierten über die Grenzlinie zwischen Kunst und Sachbeschädigung und boten spannende Ansätze für kontroverse Debatten. Unter der Moderation von Antonia Bruneder diskutierten:
• Philo Jöbstl, Graffitikünstler, der die kreative Dimension von Graffiti und dessen kulturellen Wert hervorhob.
• Roman Hahslinger, Konzernbeauftragter für Security der ÖBB, der die Sicherheitsaspekte und die Auswirkungen von Graffiti auf die Infrastruktur der ÖBB erläuterte.
• Rainer Beck, Rechtsanwalt und Altstadtanwalt, der auf die juristischen Herausforderungen einging, die Graffiti in urbanen Zentren mit sich bringt.
• Hannes Schütz, Leiter des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Graz, der die strafrechtlichen Dimensionen von Graffiti und die damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen darstellte.
Blick in die Zukunft
Mit dem Zentrum für Kunst- und Kulturrecht setzt die Universität Graz einen wichtigen Schritt, um eine fundierte Auseinandersetzung mit den rechtlichen Aspekten von Kunst und Kultur zu fördern. Die Eröffnung war ein großer Erfolg und unterstrich die Bedeutung, die das Zentrum als Anlaufstelle für rechtliche und kulturelle Fragestellungen in Österreich haben wird.
Popmusik und Populismus im Wahlkampf
Pünktlich vor der Landtagswahl im November 2024 lud Univ.- Ass. Dr. Antonia Bruneder interessante Gäste zur Diskussion.
Dass populistische Strömungen national und international auf dem Vormarsch sind, lässt sich nicht mehr leugnen. Häufig nutzen diese Gruppierungen bestimmte Symbole für ihre Zwecke. Nicht selten wird dabei auch Musik eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist das Lied „I am from Austria“ von Reinhard Fendrich, das die Freiheitliche Partei regelmäßig, begleitet von einem Meer an Österreichfahnen, für ihre Zwecke nutzte, bis der Künstler dies untersagte.
Inwieweit der Populismus die Popmusik für sich instrumentalisiert, welche Rolle die Musik in der Politik und umgekehrt die Politik in der Musik spielt und wie die Gesellschaft damit umgehen kann, diskutierte Univ.-Ass. Dr. Bruneder mit hochkarätigen Gästen. Als Politikwissenschaftlerin nahm Dr. Hedwig Unger am Podium Platz. Die Musikwissenschaft war durch Univ.-Prof. Dr. Andre Doehring, M.A. vom Institut für Jazz- und Popularmusikforschung vertreten. Um nicht nur über Künstler zu sprechen, sondern auch mit ihnen zu sprechen, komplettierte der Granada Frontmann und Amadeus Musicaward-Preisträger Thomas Petritsch das Podium.
„Die Kinderbuchaffäre“
Am 15.5.2023 begrüßte Univ.-Prof. DDr.Dr. h.c. Bernd Wieser rund 100 Gäste sowie die Drag Queen Freya van Kant zu einem interdisziplinären Dialog zum Thema „Die Kinderbuchaffäre?
Gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Christoph Bezemek, B.A., LL.M. (Rechtswissenschaften), Univ.-Prof. Dr.phil. André Doehring M.A. (Jazz- und Popularmusikforschung) und unter Moderation von Mag. Antonia Bruneder, BA wurden die aktuellen Geschehnisse rund um die Kinderbuchlesung der Drag Queen in Wien diskutiert.
Auf Einladung und unter Moderation von Antonia Bruneder und begrüßt von Dekanin Gabriele Schmölzer diskutierten Künstler und Expert*innen über Gangsta-Rap, sein Verhältnis zum (Verfassungs-)Recht und die Wirkungen, die er in der Gesellschaft entfaltet. Das Publikum im maximal ausgelasteten Sitzungszimmer unserer Fakultät lauschte gespannt.
Häng‘ grad im Ritz mit Karl Lagerfeld rum / Wer mich disst, ist entartete Kunst
(K.I.Z, 2013)
Die Kunstfreiheit ist als besonders geschützte Ausprägung der Meinungsäußerungs- bzw. Kommunikationsfreiheit ein wesentlicher Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft. Eine Unterteilung in gute und schlechte, in wertvolle und wertlose Kunst steht dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht zu. Was aber, wenn die Kunstfreiheit solcherart gebraucht wird, dass in Schrift, Musik und/oder Videos Personen oder Gruppen abgewertet, (sexuelle) Gewalt angedroht oder detailliert beschrieben und Drogenkonsum verherrlicht werden? Was ist rechtlich, was ethisch, was journalistisch bzw. kuratorisch geboten, wenn künstlerische Inhalte mit anderen Werten in Konflikt geraten? All das besprachen Antonia Bruneder (REWI Uni Graz), Rapper Al Pone, Musiker Peter Jeidler/P.TAH, Rainer Springenschmid (FM4) und Theresa Zuegg (Frauenhäuser Steiermark) am 11. März 2024 in einer interdisziplinären Podiumsdiskussion.
Antonia Bruneder eröffnete mit einem rechtlichen Überblick über den Schutzbereich der Kunstfreiheit: Im weiten Rahmen des Art. 17a StGG habe seit nunmehr 40 Jahren Vieles, ja fast alles Platz. Das gelte auch für viele Inhalte im Hip-Hop, die dem deutschsprachigen Gangsta-Rap zugeschrieben werden, der in unseren Breiten seit Jahren die Hitlisten dominiert. Die während Bruneders Vortrag eingeblendeten Sujets der Kampagne #UNHATEWOMEN, die gewaltverherrlichende Textzeilen wiedergaben, und einige wörtlich vorgetragene Inhalte (die hier im Übrigen gerade nicht zitiert werden!) illustrierten die Problematik derart, dass sich ein körperlich spürbares Unwohlsein im Publikum einstellte – soll hier also der Staat mit Imperium einschreiten? Nein, meinte Bruneder, der Kunstbegriff müsse vielmehr auch auf die nichtmusikalische Performance von Gangsta-Rappern angewendet werden, sei es auf Social Media oder im Gerichtssaal. Nach ihren rechtlichen Ausführungen leitete sie in die Diskussion über, die neben Inputs aus der Künstlersicht auch solche aus dem Radiogeschäft und der Gewaltpräventionsarbeit bot.
Man war sich grundsätzlich einig: Die Kunstfreiheit ist weit auszulegen, und das ist gut so. Das bedeute aber noch lange nicht, dass frauenverachtende, gewaltverherrlichende oder sonst menschenfeindliche Texte auch im Radio gespielt werden müssten. Gehört werden sie jedenfalls, wie die einschlägigen Playlists und Charts belegen.
Es dreht sich alles ums Image wie bei Popmusik / Das ist so lange sweet bis irgendwer 'n Kopfschuss kriegt! (Curse, 2005)
Für Core-Interpreten im österreichischen Rap wie Al Pone und P.TAH klingt das, was sich dort abspielt, jedoch eher wie „Schlager-Rap“, also wohl im Verständnis des Künstlers belanglos. Beide Rap-Interpreten konnten sich im Bezug auf sexuelle Gewalt in Raptexten qualitativ überhaupt nicht erklären, wie (O-Ton) „solch ein Schmutz überhaupt in die Charts kommt“. Die Musikindustrie habe aber erkannt, dass sich Brachialprovokation gut verkaufe, weshalb Interpreten auch maßgeschneiderte Gangsta-Images und dazu passende Texte verpasst bekämen. Das gewaltbereite lyrische Ich habe hier aber rein gar nichts mit den lieben, 17-jährigen Buben zu tun, die diese Texte wiedergeben, aber betreten auf den Boden schauten, wenn man sie anspräche. Überbordende Ermittlungsarbeit der Behörden gegen Rapper nur aufgrund von Textzeilen oder eines gepflegt zwielichtigen Rufs einer Kunstfigur seien jedoch kategorisch abzulehnen. Ein (echter) Polizeieinsatz im eigenen Musikvideo sei andererseits nicht zu verachten.
Theresa Zuegg wiederum gab einen Einblick in die Arbeit mit Jugendlichen im Projekt „Rap! Not Rape“, in dessen Rahmen Beziehungsgewalt mit Hilfe von Hip-Hop bearbeitet wird. Es ginge hier vor allem darum, nicht belehrend aufzutreten, sondern der Zielgruppe eine kritische Auseinandersetzung mit Gangsta-Rap und seinen Inhalten zu ermöglichen, und zwar auf Augenhöhe. Gerade die gemeinsame Arbeit mit Texten beliebter Interpreten sei hier ein vielversprechendes Mittel.
Rainer Springenschmid steuerte die Perspektive des Radiomachers bei. Eine Redaktion sei in ihrer Einschätzung, welche Musik zu welcher Uhrzeit und in welchem Umfang zu spielen sei, jedenfalls ebenso frei wie Rapper beim Verfassen ihrer Lyrics. Den Auftritt von RAF Camora auf der FM4-Bühne am Donauinselfest habe man – vor allem wegen seiner Verbindungen zu Bonez MC und damit zur 187 Strassenbande, die immer wieder einschlägig mit dem Gesetz in Konflikt gerät – jedenfalls kontrovers diskutiert. Man habe sich letztendlich für einen Gig des Interpreten entschieden, jedoch eingebettet in eine Dokumentation über sein Leben und Schaffen. Solche Kontextualisierungen seien etwa auch im „HipHop Lesekreis“ Mittel der Wahl, weshalb hier auch Tracks gespielt würden, die aufgrund ihrer Lyrics im normalen Programm von FM4 nicht laufen.
Auch das Publikum beteiligte sich an der regen Diskussion, etwa mit der Frage, ob Interpreten beim Verfassen ihrer Lyrics eigentlich an die Zielgruppe – v. a. Kinder und Jugendliche – dächten, was aktuelle problematische Inhalte von früheren Skandalen wie Falcos „Jeanny“ unterscheide, und wieso neben Drogen und Straßenkriminalität gerade Gewalt gegen Frauen als Stilmittel vorkäme, denn das könne doch niemand ernsthaft cool finden.
Hip-Hop ist ein Spiegel der Gesellschaft / Und darin sieht man halt schei*e aus, / Wenn man das weibliche Geschlecht hat (Edgar Wasser, 2014)
In der Schlussrunde war man sich im Bezug auf diese Fragen erneut einig: Hip-Hop sei eingebettet in soziale Phänomene und dementsprechend ein Spiegel der Gesellschaft – einer Gesellschaft nämlich, in der auch Gewalt gegen Frauen immer noch zu weit verbreitet ist, und das ganz sicher nicht nur aufgrund von Raptexten.
Einen Audiomitschnitt von Radio Helsinki finden Sie hier.
Antonia Bruneders Dissertation "Kunstfreiheit und Gangsta Rap" erschien im Verlag Österreich (Link).
(Bericht: Gregor Fischer-Lessiak)